Nachdem die letzten beiden Mittwoche den Damen gehörten habe ich mir heute wieder einen Mann an meinen Tisch geladen. Allerdings nicht irgendeinen, sondern den Ehrenwerten Doktor Patrick MacThomas.
„Guten Tag, Merfyn.“
Reserviert wie immer sitzt mir MacThomas gegenüber. Sein Gesichtsausdruck sagt nichts aus. Ob er sich bei Evy ähnlich verhalten hat wollen wir heute mal hinterfragen. Fangen wir also an.
„Patrick, wie ist es, bereits zu Beginn des Buches einen großen Auftritt an den Tag zu legen? Die ersten Protagonisten entscheiden ja zumeist darüber, ob der Leser an dem Buch Interesse zeigt.“
„Einfach war es nicht. Wichtig war sowohl der Autorin als auch mir, dass wir die Situation so authentisch wie möglich über die Bühne brachten. Demnach sollte ich als der Ruhepol agieren, sobald Evy die Nerven verlöre.“
„Was sie ja auch hat.“
„Kann man es ihr verdenken, Merfyn? Andere Leute hätten in ihrer Situation gewiss heftiger reagiert.“
„Ist es demnach folgerichtig, dass Evy bei Ihnen so ruhig blieb, weil Sie sie bereits von früheren Ereignissen kannten?“
„Ich vermag nicht zu sagen, ob es sich so verhält, aber anzweifeln würde ich es nicht. Es stimmt, dass ich Evy bereits von Erlebnissen kannte, die nichts mit dem gegenwärtigen Buch zu schaffen hatten. Für die eigentliche Handlung war dies jedoch irrelevant und dementsprechend habe ich mich einzig auf die vorherrschende Lage konzentriert. Mein Versuch war es, Evy begreiflich zu machen, wie wenig Zeit ihr noch bliebe. Ich muss gestehen, dass ich in dem Punkt nicht der einzige war, aber das konnte ich in dem Moment noch nicht wissen.“
„Sie sprechen damit einen entscheidenden Punkt an. Vincent. Was haben Sie sich ganz persönlich – und unter uns gesprochen – über ihn gedacht?“
„Unter uns? Nun, er war mir suspekt. Ich muss gestehen, meine Vorstellung von ihm war eine andere, als jene, welche die Autorin letztlich aufs Papier brachte. Einer Lungenkranken einen Engel zur Seite zu stellen, der raucht wie ein Schornstein ist nichts was man sich als Arzt wünscht. Andererseits muss ich zugeben, dass ohne ihn einiges bei Evy nicht möglich gewesen wäre.“
„Beispielsweise?“
„Derartiges unterliegt der Schweigepflicht, Merfyn. Darüber kann ich unmöglich reden. Nicht mal so ganz unter uns und den etlichen Lesern, die diese Unterhaltung verfolgen.“
„Äußerst enttäuschend, Patrick. Aber gut, ich will da gar nicht länger den Finger in die Wunde drücken. Vielmehr …“
„Ein kleiner Scherz, was?“
„Oh, ja, kann man so sagen. War er witzig?“
„Nein.“
„Sieht man Ihnen an. Sie sind nicht gerade der Partyclown, kann das sein?“
„Ist das eine für dieses Interview relevante Frage?“
„Sie beantworten aber auch jede Frage mit einer Gegenfrage, kann das sein?“
„Es dürfte wohl meinem Beruf geschuldet sein Dinge zu hinterfragen. Ebenso erscheint es mir, als wäre Neugierde ein notwendiges Übel bei Dämonen.“
„Gut gekontert. Machen wir weiter mit den Fragen. Über Ihr Privatleben erfährt man herzlich wenig. Ein paar Andeutungen, aber mehr auch nicht. Bedauern Sie diesen Umstand?“
„Keineswegs. Warum sollte ich? Es ist und war niemals meine Aufgabe in den Mittelpunkt zu rücken. Ich bin der Arzt im Hintergrund. Eine Person, die niemand gerne aufsucht. Falls doch ist es zumeist so, dass eine Krankheit bereits weit fortgeschritten ist und ich meine Arbeit in Ruhe bewerkstelligen muss. Dabei jemanden zu haben, der mir ständig über die Schulter sieht liegt keinesfalls in meinem Interessensgebiet.“
„Angst vor einer Klage wegen falscher Behandlung?“
„Also bitte! Derartiges werde ich nicht mit einem weiteren Wort würdigen.“
„Das sagt zumeist schon genug aus. Meine nächste Frage richtet sich auf eine ganz andere Person als Evy. Naomi. Sie waren vom ersten Moment an in die kleine Indianerin verschossen, oder?“
„Was letztlich geschah, war so nie geplant. Ich kann nicht sagen, was die Autorin sich dabei gedacht hat, aber sehr wohl möchte ich anmerken, dass es nicht in meiner Absicht lag ein derartiges Interesse bei einem anderen Menschen geweckt zu haben. Andererseits muss ich gestehen, dass Naomi eine zauberhafte Frau ist und man mit ihr sehr gut reden kann. Sie lässt einem die Alltagssorgen vergessen und das ist bei einem Beruf wie dem meinigen keinesfalls leicht. Zudem bedurfte es eines gegenseitigen Vertrauens, dass wir nicht ständig über Evy sprachen, sondern einzig für einander unser Interesse bekundeten.“
„Wow, Herr Doktor, Sie blühen ja gerade richtig auf. Darf man das so verstehen, dass sie letztlich mit der Situation, die aus einer Laune heraus entstand zufrieden waren?“
„Ich bezweifle, dass dies einer Antwort bedarf. Zudem darf ich mich nun verabschieden. Ein neuer Patient wartet auf mich. Auf Wiedersehen, Merfyn. Wir sehen uns bei deinem nächsten Gesundheitscheck.“
Als ob ich den vergessen könnte. Aber eines muss man sagen, der werte Herr Doktor trägt eine Würde mit sich, die bisher noch keiner bei diesen Fragen an den Tag gelegt hat. In jedem Fall war es mal eine erstaunlich einfache Unterhaltung und jetzt freue ich mich noch mehr auf meinen nächsten Besucher in der kommende Woche. Ich bin schon sehr gespannt was ihr zu diesem Exemplar sagen werdet.
Bis dahin grüßt euch, Merfyn.